18. Mai 2020 | von Yanick Ammann

Chimamanda Ngozi Adichie — Americanah (2013)

Foto Americanah (1)

Die Fra­ge nach der ei­ge­nen Iden­ti­tät hat schon man­che Ro­man­fi­gur um­ge­trie­ben. Mal mehr, mal we­ni­ger er­kennt­nis­reich wur­de die in­di­vi­du­el­le Per­sön­lich­keit von der Haar­spit­ze bis zur Fuss­soh­le er­grün­det. Die Haar­spit­ze nimmt Chi­ma­man­da Ngo­zi Adi­chie in ih­rem Ro­man Ame­ri­ca­nah wort­wört­lich, wes­halb Aus­gangs­punkt der Er­zäh­lung nicht zu­fäl­lig ein Fri­seur­sa­lon in ei­nem her­un­ter­ge­kom­me­nen Stadt­vier­tel von Tren­ton ist. Hier möch­te sich Prot­ago­nis­tin Ife­me­lu Braids flech­ten las­sen. Dass die jun­ge Stu­den­tin da­für ih­ren Wohn­sitz, das vom Wohl­stand ge­präg­te Prince­ton, ver­las­sen muss, of­fen­bart be­reits die po­li­ti­sche Di­men­si­on des ver­meint­lich All­täg­li­chen. Ife­me­lu, in Ni­ge­ria ge­bo­ren und wäh­rend der Mi­li­tär­dik­ta­tur un­ter Sani Ab­acha in den 1990er Jah­ren aus­ge­wan­dert, als ihr ein Sti­pen­di­um die Mög­lich­keit er­öff­net, in den USA zu stu­die­ren, hat längst er­fah­ren müs­sen, dass die Wahl der Fri­sur kei­ne mo­di­sche Ent­schei­dung ist. Zu­min­dest nicht für eine schwar­ze Frau in Ame­ri­ka. So­wohl Afro­ame­ri­ka­ne­rin­nen als auch ein­ge­wan­der­te Afri­ka­ne­rin­nen tra­gen ihr Haar ge­glät­tet statt na­tür­lich, um von der weis­sen Mehr­heit der Be­völ­ke­rung eher ak­zep­tiert zu wer­den und be­ruf­lich er­folg­reich sein zu kön­nen. Zu ei­ner Schwar­zen sei sie erst ge­wor­den, als sie nach Ame­ri­ka kam, hält Ife­me­lu ir­gend­wann fest. Ihre An­kün­di­gung, nach Ni­ge­ria zu­rück­zu­keh­ren, stösst nichts­des­to­trotz so­wohl im Fri­seur­sa­lon als auch in ih­rem engs­ten Freun­des­kreis glei­cher­mas­sen auf Un­ver­ständ­nis.  

Adi­chie geht in ih­rer Er­zäh­lung zu­nächst je­doch ei­ni­ge Schrit­te zu­rück und be­leuch­tet mit­tels Rück­blen­den Ife­me­lus Schul- und Ju­gend­zeit in La­gos. Da­bei fo­kus­siert die Au­torin auf Ife­me­lus Be­zie­hung zu ih­rer Ju­gend­lie­be Obin­ze. Aus­ge­stat­tet mit ei­nem trot­zi­gen Op­ti­mis­mus träumt die­ser von ei­nem Le­ben im Aus­land, vor­zugs­wei­se Ame­ri­ka. Es ist die Sicht der bei­den Lie­ben­den, aus wel­cher der Ro­man in wech­seln­der Fol­ge ge­schrie­ben ist, wenn­gleich Obin­ze we­ni­ger Platz ein­ge­räumt wird. Ihn ver­schlägt es schliess­lich nach Eng­land, wo er sich un­ter fal­schem Na­men und mi­se­ra­blen Ar­beits­be­din­gun­gen über Was­ser zu hal­ten ver­sucht. Auf­grund der ver­schie­de­nen Zeit­ebe­nen so­wie der Orts- und Per­spek­ti­ven­wech­sel öff­net Adi­chie ein am­bi­tio­nier­tes Spek­trum an In­hal­ten: Ras­sis­mus, Fe­mi­nis­mus, die Mi­li­tär­dik­ta­tur samt Kor­rup­ti­on, Im­mo­bi­li­en­be­trug, das Chris­ten­tum in Ni­ge­ria, Schat­ten­wirt­schaft, De­pres­si­on so­wie die al­les um­span­nen­de Lie­bes­ge­schich­te. Nicht all die­sen The­ma­ti­ken kann die Au­torin da­bei glei­cher­mas­sen ge­recht wer­den.

Die her­aus­ra­gends­ten Pas­sa­gen des Bu­ches sind ohne Zwei­fel jene, in wel­chen Adi­chie be­schreibt, wie All­tags­ras­sis­mus auf sämt­li­che Aspek­te des Le­bens über­greift. In den USA an­ge­kom­men, scheint auf ei­nen Schlag al­les an Ife­me­lu min­der­wer­tig zu sein. Auf­grund ih­rer Her­kunft, ih­res Aus­se­hens und ih­rer Spra­che be­geg­nen ihr weis­se Mit­men­schen ent­we­der mit ge­küns­tel­ter Höf­lich­keit oder of­fe­ner Ver­ach­tung. Die­se Er­fah­run­gen be­schreibt Ife­me­lu in ei­nem schliess­lich viel­be­ach­te­ten Blog. Adi­chie nutzt die in die Er­zäh­lung ein­ge­streu­ten Blog­bei­trä­ge ge­konnt, um mit schar­fer Zun­ge den un­ter­schwel­li­gen Ras­sis­mus in den USA zu ana­ly­sie­ren und kom­men­tie­ren.
Für Ife­me­lu ge­stal­tet sich der­weil auch die Rück­kehr nach Ni­ge­ria nicht un­pro­ble­ma­tisch. Dort droht ihr die ti­tel­ge­ben­de Be­zeich­nung als «Ame­ri­ca­nah», ein Be­griff für Rück­keh­rer aus den USA, die ame­ri­ka­ni­sche Ge­pflo­gen­hei­ten über­nom­men ha­ben und des­halb nun auch in Ni­ge­ria auf­fal­len. So be­wegt sich Ife­me­lu zwi­schen Hei­mat und Frem­de, Selbst­wahr­neh­mung und Ge­sell­schafts­bil­dern, la­ten­tem und of­fe­nem Ras­sis­mus. Die Fra­ge nach der ei­ge­nen Iden­ti­tät stellt sich da be­reits bei der Wahl der Fri­sur.